Neue Roh­stof­fe aus al­ten Häu­sern

Der Schweizer Pro-Kopf-Verbrauch von Beton ist einer der weltweit ­höchsten, gleichzeitig fallen hierzulande 17 Mio. Tonnen Bauabfälle an. Zu viel davon landet auf der Deponie, denn auch aus Misch­abbruch lassen sich Rohstoffe für Hochleistungsprodukte gewinnen.

Publikationsdatum
18-08-2023

Bau und Betrieb von Gebäuden haben Auswirkungen auf die Umwelt. Nicht nur durch die Treibhausgasemissionen, die dabei verursacht werden und rund ein Drittel der Schweizer Emissionen aus­machen, sondern auch hinsichtlich der Rohstoffe, die verbraucht werden. Laut dem «Circularity-­Gap-Report» weist die Schweiz gerade mal 6.9% Zir­kularität auf, über 93% unseres Materialverbrauchs stammt aus neuen Ressourcen. Laut dem Bundesamt für Umwelt BAFU und der EMPA verantwortet unsere Baubranche rund 50% des Rohstoffbedarfs und über 80% der Abfälle. Die beiden Zahlen stehen in einem direkten ­Zusammenhang: Der Rohstoffbedarf könnte gesenkt werden, wenn mehr mit dem gebaut werden würde, was im «Abfall» steckt.

In einer Kreislaufwirtschaft würde der Input von neuen Rohstoffen und der Output an Abfall so nah wie möglich an null grenzen. Durch kluges Design und Nutzungs­änderungen wie teilen, reparieren, weitergeben und aus zweiter Hand übernehmen bleiben Güter über eine möglichst unbegrenzte Lebensdauer im Kreislauf. Recycling beziehungsweise die Wiederaufbereitung der Rohstoffe aus dem Abfall kommt erst ganz am Ende dieser langen Lebensdauer (vgl. TEC21 8/2020 «Bauten als Ressource»). In der Verbrennung oder der Deponie landet nur noch technisch Unverwertbares, oberste ­Priorität hat weiterhin die Vermeidung von Abfällen. Übersetzt auf den Baubereich heisst das, dass bestehende Bauten und Bauteile weitergenutzt und neue so geplant werden, dass sie sparsam mit Ressourcen umgehen, flexibel nutzbar und reparierbar sind. Und dass alle Gebäudekomponenten letztendlich, wenn sie nicht mehr reparierbar oder nutzbar sind, vollständig und ohne Wertverlust trennbar und recycelbar sind.

Lesen Sie auch: «100 % recycelbar, ab auf die Deponie»Was braucht es, um in Kreisläufen zu produzieren? Wo fehlen Rahmenbedingungen und Anreize?

Bis zu dieser idealen kreislauffähigen Bauwirtschaft ist der Weg aber noch weit. Denn selbst wenn jeder Neubau heute kreislauffähig geplant und gebaut würde, entspricht wohl heute kein einziges Abbruch­­­objekt dem Prinzip Systemtrennung oder «Design for Disassembly» (vgl. TEC21 23–24/2023 «Die verlängerte Zukunft»). Mit Blick auf unsere heutigen Realitäten stellt sich also lange vor dem Idealzustand die Frage, was wir mit den entstehenden Abfallbergen anstellen können, um die Kreisläufe mehr und mehr zu schliessen. Denn eine Aufbereitung von qualitativ hochwertigen und kreislauffähigen Sekundärrohstoffen entlastet nicht nur die Rohstoffnach­frage, sondern auch die 345 Deponien in der Schweiz.

Bauabfall: Eine kurze Übersicht

Im Jahr 2020 produzierte die Schweiz laut BAFU etwas über 87 Mio.t Abfall, das entspricht 10 t pro Person. Der Anteil der Baubranche beträgt mit 72.7 Mio.t pro Jahr gut 83.3%. Etwas mehr als 20% beziehungsweise 17.8 Mio.t pro Jahr sind Bauabfälle im engeren Sinn, auch Bauschutt genannt, die beim Rückbau von Gebäuden, Strassen und Bahntras­sees anfallen. Hoch- und Tiefbau teilen sich den Bauschutt in etwa hälftig auf und umfassen je 10% be­ziehungsweise knapp 9 Mio.t pro Jahr. Mehr als die Hälfte der Bauabfälle im Hochbau werden durch Abbrüche verursacht.

Rund 11.7 Mio.t der total 17.8 Mio.t Rückbaumaterialien wurden laut BAFU weiterverwendet, das entspricht einer Recyclingquote von gut 65%. Je nach Baustoff zeigen sich aber erhebliche Unterschiede: ­Während Metalle zu bis zu 98% verwertet werden, liegt die Recyclingquote von Gips nur bei rund 17%. Den grös­sten Anteil an Rückbaumaterialien stellen mineralische Abfälle in Form von Beton- und Mischabbruch. Beim Beton wird gerne auf die beeindruckend hohe Verwertungsquote von 96% verwiesen. Tatsächlich fallen aber nur rund 56% als reiner Betonabbruch an, der bis zu 96% stofflich verwertet wird. Rund 30% landen direkt auf der Deponie und weitere 14% fallen als Mischabbruch an, dessen stoffliche Verwertung gesamthaft nur bei rund 50% liegt (vgl. TEC21 10/2020 «Recycling am Bau»).

Thermische und stoffliche Verwertung

Unter Verwertung wird sowohl die stoffliche als auch die thermische Verwertung verstanden – also alles, was nicht auf der Deponie landet. «Stoffliche Verwertung» meint das, was gemeinhin als Recycling bezeichnet wird. Wobei es sich dabei oft um ein «Downcycling» handelt, also eine Verarbeitung zu einem niederwer­tigeren Produkt. Aus Flachglas wird Glaswolle, aus PET-­Flaschen werden Gummireifen und Waschmittel­flaschen und beides landet so etwas später auf der Deponie. In einer Kreislaufwirtschaft ist das Ziel, solche Wertstoffe dauerhaft und ohne Qualitätsverluste zu erhalten und weiterzunutzen.

«Thermische Verwertung» umschreibt euphemistisch, dass die Stoffe verbrannt und in Wärme umgewandelt werden. Beispielsweise in Kehrichtverbrennungsanlagen, die Fernwärmenetze heizen, oder in Industrie- und Zementwerken, die hohe Temperaturen benötigen. Stoffe, die auf Kohlenstoff basieren, wie Holz oder auch alle Plastikarten, können thermisch verwertet werden. Mineralische Stoffe hingegen nicht: Für sie gibt es nur die stoffliche Verwertung oder die Deponie.

Recyclingbeton und Mischabbruch

Breit etabliert ist die Verwertung mineralischer Rückbaustoffe als Recyclingbeton, in dem Betonabbruch den Primärrohstoff Kies ersetzt: Der Altbeton wird in kleine Stücke gebrochen, aufbereitet und wieder mit neuem Zement gemischt und verbaut. Das ist gut für die Rohstoffbilanz, aber ohne zusätzliche Massnahmen fällt die Treibhausgasbilanz bei Recyclingbeton eher schlechter aus, weil zum Ausgleich der Porosität und Trockenheit des gebrochenen Altbetons mehr Zement beigemischt wird. Denn Zement muss auch bei Recyclingbeton stets neu hinzugemischt werden und ist der Treiber hinter der CO2-Bilanz von Beton.

-> «Ein Haus wird abgerissen» – Der Weg der Bestandteile und Materialien eines typischen Schweizer Abrisshauses. Lesen Sie den ganzen Artikel in TEC21 26/2023 «Rohstoff Abfall».

Entscheidend für die Qualität des Recycling­betons ist die Druckfestigkeit des Granulats. Diese leidet, wenn das Rückbaumaterial mit Mischabbruch verunreinigt ist und beispielsweise ein zu hoher Anteil Ziegel oder Backsteine mitverkleinert werden. Denn diese sind viel weniger belastbar als Altbeton, was die statischen Eigenschaften des Recyclingbetons verschlechtert. Mischabbruch ist eine breit gefächerte Mischung von Materialien, die neben 55–80% Beton 15–25% Back- und Ziegelsteine, 0–25% natürliche Gesteins­körnung sowie kleinere Anteile Ausbauasphalt, Fremd- und Störstoffe enthält. Qualität und Zusammensetzung variieren stark, was erheblichen Einfluss auf die Verwertbarkeit hat. Mischabbruch kann trocken oder nass aufbereitet werden. Ein Vorteil der Nassaufbereitung ist insbesondere die Abtrennung und Behandlung der Sandfraktion von < 8mm, die ansonsten separat abgesiebt und behandelt werden muss, damit sie deponiert oder in einem Zementwerk stofflich verwertet werden kann. Nur: Eine solch saubere Trennung und Verarbeitung von Mischabbruch scheint eher die Ausnahme zu sein. Die Bandbreite der Aufbereitung reicht laut einer Studie im Auftrag des BAFU je nach Region von «gar keine Aufbereitung» bis zu «optisch-pneumatischen Systemen» und anderen technischen Neuerungen, die die Materialtrennung optimieren. Denn eine saubere Trennung der Materialien ist entscheidend für die Verwertbarkeit von Mischabbruch: Je besser die roten Steine von den grauen Steinen getrennt werden, umso besser können Ziegel, Beton und Gesteine in ihre jeweiligen Stoffkreisläufe zurückgeführt werden.

Geschäftsfeld Rückbau

Das Geschäftsfeld des Unternehmens Eberhard umfasst so ziemlich alles, was mit Bauabfällen zu tun hat, vom Rückbau selbst bis zum Betreiben von Deponien. Das schafft Anreize im unternehmerischen Eigeninteresse, die stoffliche Verwertung zu optimieren, um die Deponievolumen für jene Materialien zu sichern, die tatsächlich nicht in einen Kreislauf zurückgeführt werden können. Das Recycling gehört darum schon lange zum Geschäft: Die erste stationäre Recyclinganlage Büligrueb wurde vor 40 Jahren in Betrieb genommen, 1999 folgte mit dem Ebirec ein grosses stationäres Baustoffrecycling-Zentrum für den Betonabbruch.

Betonabbruch wird auch heute noch im Ebirec verarbeitet, aber Mischabbruchanteile verminderten immer wieder die Qualität der Sekundärrohstoffe, die dort aufbereitet wurden. Patric Van der Haegen, Leiter Entwicklung bei Eberhard, war damit nicht zufrieden: «Wenn der Anteil Verunreinigungen zu gross wird, erhalten wir ein Produkt, das letztlich nicht mit Primärrohstoffen mithalten kann, betreiben also Downcycling. In einer echten Kreislaufwirtschaft darf das Material seine Qualitäten nicht verlieren, denn nur dann kann es wirklich mit Primärrohstoffen konkurrieren.»

Haus rein, Wertstoff raus

Um die Qualität der Sekundärrohstoffe auch für Hochleistungsprodukte zu gewährleisten und das grosse Volumen an Mischabbruch, das in der Region anfällt, zu verarbeiten, war ein neuer Ansatz gefragt. Seit 2021 betreibt Eberhard nun mit der Recyclinganlage EbiMIK in Oberglatt ZH auf über 20000m² die erste mit Sortier-­Robotern automatisierte Anlage für die qualitätserhaltende Aufbereitung von Mischabbruch in der Schweiz. Bauschutt kann hier auch ohne Vorsortierung abgeliefert werden, wie Van der Haegen sagt: «Wir nehmen ganze Häuser entgegen, nur Schadstoffe und Elektrogeräte müssen vorher raus. Und hinten kommt alles sauber sortiert und zerkleinert wieder raus.»

Automatisiertes Sortieren dank Robotern

Der Aufbereitungsprozess beginnt mit einer grossen Abkippstelle, in die der Mischabbruch angeliefert wird. Ein elektrisch betriebener Bagger sortiert manuell vor und eine erste Anlage bricht alles auf eine Grösse von etwa 30cm. Dann wird mit Robotern vollautomatisch aussortiert. Fast ein halbes Jahr lang mussten die Roboter lernen, verschiedenste Stoffe wie Holz, Plastik, Beton, Ziegel, Aluminium, Stahl, Backstein etc. zu unterscheiden. Dabei wurden die Stoffe zum Erkennungstraining zuerst einzeln durchgeschickt und anschlies­send alle Fehler korrigiert. Korrekturen sind auch heute noch immer wieder nötig, aber die Präzi­sion und Geschwindigkeit der Roboter sind beeindruckend. Bis zu 30kg können sie greifen, kleinere Stücke werfen sie aus dem Schwerpunkt heraus in die richtige Kiste. Bis zu 2000 Bewegungen pro Stunde macht jeder der sechs Roboterarme, das sind keine zwei Sekunden für Analyse, Griff und Wurf.

Ein Mensch ist übrigens immer noch besser beim Identifizieren der Stoffe als die Roboter. Allerdings nur für eine kurze Zeit, dann lässt die Konzentration nach, während der Roboter ohne Unterbruch die exakt gleiche Leistung erbringt, immer mit einer kleinen Fehlerquote. «Eine stabile Fehlerquote ist für die weitere Verwertung besser, als wenn jede Ladung unterschiedlich ist», erklärt Van der Haegen. Für das Endprodukt sei nicht nur eine hohe, sondern auch eine stabile Qualität zentral. Der Mensch spiele dabei im Prozess noch immer eine wesentliche Rolle: Der Roboter verarbeitet zwar die grosse Masse, aber die Menschen sorgen rundherum für einen reibungslosen Ablauf, kontrollieren Input und Output und greifen korrigierend ein, wenn der Roboter überfordert ist. Van der Haegen führt aus: «Wir haben heute mehr Arbeitsplätze als zuvor, weil wir dank den Robotern überhaupt so viel Mischabbruch verarbeiten können.» Oder wie es die Zukunftsforschung beschreibt: Alle Aufgaben, die entweder besonders komplex oder aber besonders chao­tisch sind, bleiben auch in einer digitalisierten und au­to­matisierten Arbeitswelt den Menschen vorbehalten.

Die ausführliche Version dieses Artikels und weitere Beiträge zum Thema in TEC21 26/2023 «Rohstoff Abfall».

Magazine

Verwandte Beiträge